Die Problematik der Frage lässt sich vielleicht am besten in dem Wort "Brauchen" verdeutlichen.
Etwas was ich zum Leben "brauche", (also wie Essen, Trinken, Schlafplatz, Arbeit und soziales Gefüge), wird meist als lebensnotwendig auch offensiv verteidigt.
Darin liegt die Krux der Frage, denn würde sich das religiöse Empfinden eines Menschen aus seiner individuellen Spiritualität entfalten, das sich einzig und allein aus eben dieser Individualität begründet, so wäre dieses religiöse Weltbild Teil einer selbstverständlichen Lebensphilosophie, daß sich mit dem Selbstverständnis von Kunst, Kultur, Freizeit oder gesellschaftlicher Teilhabe zum Gesamtbild eines individuellen, sinnerfüllten Identität zusammenfügt.
Eine solche "privatisierte" Spiritualität ist jedoch nur aus einem ganzheitlichen Bewusstsein des Menschen denkbar, ein Mensch in dem sich Logos und Mythos gleichsam in Einklang befinden.
In der entmystifizierten, technologisierten Massengesellschaft der absoluten Herrschaft des Logos, mit seinen gleichgeschalteten, kompensativen Konsumbedürfnissen, ist eine solche Spiritualität von "Innen" nicht mehr möglich, der Mensch "spürt" sich spirituell nicht mehr.
Während der Eine Teil nun jedoch durchaus spirituell losgelöst, in selbstverherrlichender Weise um so mehr seinen Sinn in den kompensatorischen Möglichkeiten der Konsum- & Erlebnisgesellschaft
findet, empfinden Andere dies jedoch als Mangel und begeben sich auf die Sinnsuche, und zwar in der Weise, wie sie es als Konsumteilnehmer gelernt haben, sie "delegieren" den Sinn an eine "Schrift" oder eine "Person", dessen Gebote und Verbote sie nun als alleinige Wahrheit für den eigenen Lebenssinn erkennen, um sie offensiv gegen andere "Wahrheits-Wettbewerber" zu verteidigen - diese "benötigte" Religiosität ist eine Religiosität aus dem Mangel heraus.
Ein spirituelles Selbstverständnis als Teil eines Ganzheitlichen Bewusstseins, in dem sich Mythos und Logos im Gleichgewicht befinden, "braucht" Religion nicht mehr als kompensative Krücke
eines persönlichen Mangels (Ängste, Entfremdung, Sinnsuche, Minderwertigkeitsgefühle), das offensiv verteidigt werden müsste - es begründet sich aus der eigenen individuellen Selbstverständnis als Teil vom Ganzen eines ewigen Kreislaufes - Es entspringt der eigenen Erkenntnis als ganzheitliches Wesen - es genügt sich selbst - und es folgt einer Ethik des Selbstverständlichen Miteinanders, nicht Gegeneinanders - und sie ist zudem auch weniger anfällig für die Mechanismen der Konsumgesellschaft.
Eine solche selbstverwaltete, privatisierte Religiosität, würde vom Fragesteller wohl auch kaum noch als problematisch erkannt werden.