Der Satz, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sei, stammt aus der ersten biblischen Schöpfungsgeschichte (1.Mose 1,27). Ihm folgt in Vers 28 der Auftrag, die Erde zu füllen und zu beherrschen. In jenen alten Zeiten ließen Kaiser und Könige in ihren Reichen Abbilder von sich als sichtbare Zeichen ihrer Hohheit aufstellen. Daß der Mensch ein "Ebenbild Gottes" sei, bedeutet also zunächst einmal, daß er Gottes Hohheitszeichen in dieser Welt ist und die Erde in seinem Namen und in seinem Auftrag beherrschen, verwalten, gestalten und ihre Schätze und Kräfte erforschen und nutzen soll.
Ein weiterer wichtiger Gedanke: "der Mensch" wird als Ebenbild Gottes bezeichnet. Nicht nur einige besonders herausragende Exemplare, sondern der Mensch als solcher. Und das heißt: JEDER Mensch, selbst der kleinste, geringste und verachtetste. Jeder ist auf seine ganz eigene, unverwechselbare Weise ein Ebenbild Gottes; für das Verhältnis zwischen Männern und Frauen wird das sogar ausdrücklich ausgesprochen: "Gott schuf ihn (= den Menschen) als Mann und Frau." Wenn aber jeder Mensch auf seine Weise ein Ebenbild Gottes ist, sind die Menschen untereinander grundsätzlich gleichwertig und gleichberechtigt, und jeder ist unantastbar und besitzt eine einzigartige Würde. Wer sie antastet oder zerstört, vergreift sich darum an Gott selbst.
Das wird noch deutlicher sichtbar, wenn man bedenkt, daß die Schöpfungsgeschichte in 1.Mose 1 eine israelitische Antwort auf den babylonischen Schöpfungsmythos "enuma elisch" war, in dem die Menschen als "Sklaven der Götter" bezeichnet werden. In dem Glauben, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes sei, wurzeln unsere heutigen Vorstellungen von Menschenrechten und Menschenwürde - in einer Kultur, die in den Menschen Sklaven der Götter sieht, hätten sie sich niemals entwickeln können!
Die "Gott-Ebenbildlichkeit" bezieht sich dabei natürlich nicht auf die äußere Gestalt oder das Aussehen, sondern eher auf Wesenszüge. Der Mensch ist darin ein Ebenbild Gottes, daß er
1. ein schöpferisches Wesen ist, das die Welt gestalten und verändern kann und gewissermaßen als Mitschöpfer Gottes sogar den Auftrag dazu hat (s.o.),
2. eine Person, ein Ich ist, das mit Selbsterkenntnis begabt und mit einem freien Willen ausgestattet ist und zwischen Gut und Böse (und nicht nur, wie die Tiere, zwischen Angenehm und Unangenehm oder Zweckmäßig und Unzweckmäßig) unterscheiden kann,
3. ein liebesbedürftiges und liebesfähiges Wesen ist.
In Letzterem liegt auch die Verheißung und der Keim des ewigen Lebens. Die Liebe will Ewigkeit, sie will einen Menschen, den sie liebt, nicht hergeben und nicht verlieren. Allerdings zerbricht die Kraft selbst der größten und stärksten menschlichen Liebe im Tod, so wie alles irdisch-menschliche Können und Wissen im Tod eine unüberwindliche Grenze findet. Aber wenn wir Menschen Gottes Ebenbilder sind, dann ist Gott das Urbild, und dann spiegelt sich in aller wirklichen menschlichen Liebe etwas von Gottes Liebe wider. Das Neue Testament kann formulieren: "Gott ist die Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm" (1.Johannes 4,16). Gottes Liebe aber ist ewig und nicht dem Tod unterworfen.